1,2,3,4 - finito! (Lesetext)

Wie Paolo Ruffini das Rätsel der Gleichung 5. Grades löste (Ein Zugang für die Stufe Sek II)

Autor:
Urs Kirchgraber

In der Schule lernt man bald einmal, quadratische Gleichungen (Gleichungen 2. Grades) zu lösen, i.e. ihre Lösungen mit Hilfe der Grundrechenoperationen und dem Ziehen von Quadratwurzeln aus den Koeffizienten zu berechnen. Dass man quadratische Gleichungen so lösen kann und wie das zu befolgende „Rezept“ im einzelnen lautet (modern ausgedrückt: die Lösungsformeln), haben schon die Alten Babylonier vor etwa 3000 Jahren entdeckt.

Es ist den meisten Schülerinnen und Schülern weniger oder gar nicht bekannt ist, dass man auch Gleichungen 3. und 4. Grades (kubische bzw. quartische Gleichungen) in ähnlicher Weise lösen kann. Diese Erkenntnis ist allerdings auch wesentlich jüngeren Datums: Sie ist italienischen Mathematikern aus der Renaissancezeit in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts zu verdanken. In „ähnlicher Weise“ bedeutet bei kubischen Gleichungen: Unter Benutzung der Grundrechenoperationen sowie dem Ziehen von zweiten und dritten Wurzeln. Quartische Gleichungen können mit Hilfe einer kubischen Hilfsgleichung gelöst werden.

Es verwundert nicht, dass nach diesem Durchbruch erwartet wurde, dass es früher oder später gelingen würde, auch die Gleichungen vom Grad 5 und höher analog zu lösen. Aber trotz intensiven Bemuühungen von vielen herausragenden Mathematikern gelang kein durchschlagender Erfolg.

Nun ist es in der Mathematik nicht ungewöhnlich, dass Probleme lange Zeit, manchmal Jahrhunderte, oder noch länger, ungelöst bleiben. Es ist dann eine offene Frage, ob das Problem irgendwann doch noch gelöst wird oder ob es unlösbar ist.

In der Mathematik nennen wir ein Problem unlösbar, wenn es gelingt zu beweisen, dass es keine Lösung haben kann. Das erreicht man in aller Regel (wenn überhaupt) indirekt: Es gelingt zu zeigen, dass die Annahme, das Problem sei lösbar, auf einen Widerspruch führt. Die Schwierigkeit ist natürlich, einen Widerspruch zu entdecken und zu begründen. Kann sie gemeistert werden, ist der Gewinn gross: Man mag enttäuscht sein, dass das Problem unlösbar ist, versteht aber wenigstens warum. Und oft eröffnet sich dadurch eine unerwartete neue Perspektive.

Wie hat sich die Situation bei den Gleichungen vom Grad 5 und höher schliesslich entwickelt?

Um 1800 konnte der italienische Mathematiker (und Arzt) Paolo Ruffini (1765-1832) – auf der Basis der wegweisenden Vorarbeit des französischen Mathematikers Joseph Louis Lagrange (1736-1813) – einen schönen Schritt zur Aufklärung des Rätsels machen. Es gibt, entdeckte Ruffini, (versteckte) Symmetrien in dem Problem, die einer Lösungsformel der vermuteten Art im Weg stehen. Das ermöglichte ihm (unter gewissen Annahmen) zu beweisen, dass es eine Lösungsformel der erwarteten Art für die Gleichung 5. Grades nicht geben kann.

Bald nach Ruffinis Tod vollendete der norwegische Mathematiker Niels Henrik Abel (1802- 1829) die Auflösung des Rätsels, indem er zeigte, dass es in Tat und Wahrheit keine Einschränkung darstellt, anzunehmen, dass Ruffinis Annahmen erfüllt sind.

Der Satz von Abel-Ruffini über die „algebraische Unlösbarkeit der Gleichung 5. Grades“, wie man sagt, ist ein Meilenstein in der Mathematik und zusammen mit der kurz darauf entstandenen Galois-Theorie die Geburtsstunde eines der seither zentralen Gebiete der Mathematik: Der (höheren) Algebra.

Im vorliegende Lesetext können Sie die Überlegungen von Paolo Ruffini kennen lernen und eine Antwort u.a. auf folgende Fragen finden:

  • Wie lauten die Lösungsformeln für kubische und quartische Gleichungen?
  • Wie kommen Symmetrien, die man vor allem im Zusammenhang mit Geometrie und Kunst kennt, bei (polynomialen) Gleichungen ins Spiel?
  • Wie können Symmetrien Lösungsformeln verhindern?
  • Ein grosses Thema der Mathematik, das ihre Entwicklung massgeblich beeinflusst hat, kennen lernen.
  • Symmetrien entdecken, wenn sie nicht ins Auge springen und eine überraschende Konsequenz von Symmetrieeigenschaften verstehen.
  • Erfahren, dass gymnasiale und universitäre Mathematik nicht voneinander getrennte, unverbundene Welten sind.
  • Das im Unterricht erworbene mathematische Handwerk in einem neuen Kontext nutzen und dabei ein wenig erweitern.
  • Elementare Algebra (Variablenbegriff, Term-Umformungen)
  • quadratische Gleichungen und ihre Lösungsformel
  • etwas Vertrautheit mit dem Begriff „polynomiale Gleichung vom Grad 3, 4 und 5“
  • eventuell die Formeln von Vieta
  • uübliche Zahlbereiche (inklusive eine Einführung in die komplexen Zahlen)
  • Funktionsbegriff (hoffentlich auch schon mit mehreren Variablen)
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